Heidemarie
Kasanowski
Diplom-Bildhauerin
Aktuell
Workshop
Skulpturen in Sandstein
Neue Termine: 11./12. Mai und 01./02. Juni 2024
Ein Kurs der Volkshochschule Berlin- Lichtenberg auf dem Gelände der Kulturgießerei Schöneiche
In diesem Workshop sammeln Sie Erfahrungen mit Stein als Bildhauermaterial: Sie erleben seinen spröden, dichten und kompakten Materialcharakter und üben, ihn mit so wenig Kraftanstrengung wie möglich zu bearbeiten.
Zunächst skizzieren wir einfache Skulptur-Ideen auf Papier und in Ton. Mit Fäustel und Bildhauereisen verwirklichen wir diese dann in sächsischem Sandstein.
In gemäßigtem Arbeitstempo kann ein fast meditativer entspannender Rhythmus entstehen aus dem Wechsel von Beobachten und Planen der räumlichen Gestalt unseres Steins und dem Abschlagen gekennzeichneter Bereiche. Dieses Tempo und diesen Rhythmus sollen die Teilnehmenden bewusst wahrnehmen und genießen.
Geeignet für Anfänger und für Teilnehmende mit Erfahrungen im plastischen Gestalten und als Vorbereitung auf eine künstlerische Ausbildung.
Info und Anmeldung: Volkshochschule Lichtenberg, Paul-Junius-Str. 71, Tel. 030 / 90296597
www.vhs-lichtenberg.de
Meine weiteren Kursangebote in der Kulturgießerei Schöneiche oder in Ihren Räumen:
– Aufbaukeramik
– Speckstein schnitzen
– Theaterplastik (Skulpturen aus Maschendraht und Papier, Masken bauen)
– Zeichen- und Modellierunterricht: Porträt, Akt und Figuren im Raum
– Sie können bei mir Ihre Arbeit in Gips abformen
Künstlerische Arbeiten
Steine & Steinzeug
Die Arbeiten aus Steinzeug sind gebrannt bei gemeinschaftlichen Brennaktionen im Holzbrandofen
von Sylvia Bohlen in Saalfeld
Installation
»SchaufelRat« zeigt meinen Dialog mit den Gegebenheiten eines bestimmten Raumes: Dachgeschoss des Magazingebäudes im Museumspark der Baustoffindustrie in Rüdersdorf, gegenüber der Uhr im Uhrenturm. Sie ist auch ein Dialog mit dem von mir gewählten Gegenstand, mit seiner Form und seiner Rolle als verlängerter Arm des Menschen, als Werkzeug im Lauf der Zeit. Gut wäre es, könnte der Eindruck des Raumes in der Phantasie des Besuchers graben, Gedanken heben, sammeln, zusammenkratzen, häufen, mischen, ordnen, bewegen…(aus dem Faltblatt)
Objekt
Die Schaumkügelchen des Styropor dienen passenderweise der Dekorationsbranche als Kunst-Schneeflocken. Und mit kaltem Pragmatismus ziehen die meisten Hausbesitzer den preiswerten Plastik-Wärmedämmstoff umweltfreundlicheren Alternativen vor.
Mir bereitete es Vergnügen, den als ekelhaft, hässlich, taktil unangenehm geltenden Stoff, der in unserem Alltag selten sichtbar, doch in großer Menge vorhanden ist, zum Träger von kleinen Texten aus der gutbürgerlichen Literatur und der Werbung zu machen. Meinen Assoziationen folgend handeln sie vom Winter und vom natürlichen Schnee.
Texte von Hans Christian Andersen, Wilhelm Müller, Christian Morgenstern, Ludwig Uhland, Shiki und Roseki
Sie lief vorwärts, so schnell sie konnte; da kam ein ganzes Regiment Schneeflocken; aber die fielen nicht vom Himmel herunter, der war ganz klar und leuchtete von Nordlichtern; die Schneeflocken liefen gerade auf der Erde hin, und je näher sie kamen, desto größer wurden sie. Gerda erinnerte sich noch, wie groß und kunstvoll die Schneeflocken damals ausgesehen hatten, als sie sie durch ein Brennglas sah, aber hier waren sie freilich noch weit größer und fürchterlicher, sie lebten, sie waren die Vorposten der Schneekönigin, sie hatten die wunderlichsten Gestalten. Einige sahen aus wie hässliche große Stachelschweine, andere wie ganze Knoten von Schlangen, welche die Köpfe hervorstreckten, und andere wie kleine dicke Bären, deren Haare sich sträubten, alle waren glänzend weiß, alle waren lebendige Schneeflocken.
Hans Christian Andersen
Fliegt der Schnee mir ins Gesicht,
Schüttl› ich ihn herunter.
Wenn mein Herz im Busen spricht,
Sing ich hell und munter.
Höre nicht, was es mir sagt,
Habe keine Ohren;
Fühle nicht, was es mir klagt,
Klagen ist für Toren.
Lustig in die Welt hinein
Gegen Wind und Wetter!
Will kein Gott auf Erden sein,
Sind wir selber Götter.
Wilhelm Müller
Aus silbergrauen Gründen tritt
Ein schlankes Reh
Im winterlichen Wald
Und prüft vorsichtig, Schritt für Schritt,
Den reinen, kühlen, frischgefallnen Schnee.
Und deiner denk ich, zierlichste Gestalt
Christian Morgenstern
Es ist ein Schnee gefallen
Ludwig Uhland
Obwohl doch Schnee liegt,
Die Berge so purpurrot
Im Abendlichte.
Shiki
Bar jedes Freundes,
Auf die Heide geworfen,
Des Winters Mondlicht.
Roseki
Vita
1957 | geboren in Potsdam |
1978–1984 | Fachschulausbildung Theaterplastik in Dresden, Theaterplastikerin im DEFA-Trickfilmstudio Dresden und an der Staatsoper Dresden |
1984–1990 | Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Diplom als Bildhauerin |
1992 | Umzug nach Berlin, 1995 Atelier im Atelierhaus Rüdersdorf, seit 2008 in der Kulturgießerei Schöneiche |
1995 | Studienreise zu den steinzeitlichen Felsreliefs in Karelien (Russische Föderation) |
2011 | Katalog »zwischen räumen« |
2014 | beteiligt an Gründung und Aufbau des Wohnprojekt Schöneiche e.V., 2015 Umzug nach Schöneiche |
Ausstellungen / Symposien
1997 | »Sechs Künstlerinnen aus Deutschland«, Mills College in Oakland (Kalifornien) |
1998 | Installation »SchaufelRat« im Museumspark Rüdersdorf |
1999 | »Finderlohn – Bilder und Objekte von Annette Gundermann und Heidemarie Kasanowski«, Galerie Forum Amalienpark Berlin |
2000 | Projekt »Kunst und Recycling« der Firma DASS mbH, Berlin »Nation of Art«, Atelierhaus Rüdersdorf |
2002 | RestCycling-Art-Festival Berlin, Stiftung Naturschutz, Berlin |
2004 | »Acht Bildhauerinnen«, Galerie Forum Amalienpark Berlin |
2008 | Installation zum Projekt »Kunst in der Tiefe«, Schacht Reiche Zeche Freiberg |
2009 | Heidemarie Kasanowski Skulpturen und Objekte, Claudia Grabarse Malerei, Galerie im Turm, Berlin |
2012 | »Im Auge des Betrachters«, Formen zeitgenössischer Skulptur, Galerie Forum Amalienpark Berlin, Künstlerinnenprojekt »Beseelte Stühle«, Potsdam |
2017 | »Winterreise- Kunst und Klang«, Galerie Forum Amalienpark Berlin |
2019, 2022 | »Leuchter«, »Objekte«, Galerie VON Berlin |
Ausstellungsbeteiligungen in Dresden, Berlin, Saalfeld, Rüdersdorf, Chorin, Boda Glasbruk (Schweden)
1992, 1993, 1994 | Keramiksymposium »Freifeuerofen in Saalfeld« |
1996 | Bildhauersymposium »Roter Granit« in Meißen |
1997 | Bildhauersymposium des Neuen Sächsischen Kunstvereins im Sandsteinbruch Reinhardtsdorf |
2001 | Holzbildhauersymposium in Grünheide, Pleinair »Postindustrielle Landschaft« des Kunstvereins Berlin-Treptow in Eberswalde-Finow |
2005, 2008 | Dozentin für Bildhauerei an der Thüringischen Sommerakademie Böhlen |
Unterricht und Projekte in der künstlerischen Bildung, Modelle und Abformungen für Restaurierungsarbeiten
Texte zu Katalogen und Ausstellungen
Vorwort von Kerstin Baudis im Katalog zwischen Räumen, 2011
Heidemarie Kasanowski ist eine Grenzgängerin. Sie bewegt sich auf einer Zeitschiene vor und zurück. Ihre Werke zeugen von synthetischen, technikhörigen oder scheinbar vergangenen Zeitaltern. Sie kokettiert mit Überbleibseln technischer Prozesse, mit Gegenständen, die der Kommunikation dienten. Das Spiel kann beginnen nach dem Fund eines Wortes aus einem Formular. Begrifflichkeiten, teilweise absurd, scheinen Lebensdefiziten zu entspringen, so dass es notwendig wird, dazu eine eigene Fassung zu schaffen. Verrostenden Fundstücken, Fragmenten aus vergangenen Arbeitsprozessen, sieht man die Spuren ihres Gebrauchs an. So haben auch Steine, als Hinterlassenschaften von Landschaften, noch vor ihrer Bearbeitung durch meißelnde Werkzeuge ihre Unschuld bereits verloren.
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Zu spüren ist die Aufmerksamkeit der Künstlerin gegenüber dem, was Leben zurücklässt als Zeugnis der Vergangenheit. Es ist weniger ein Interesse an Neuem, Glattem, als vielmehr die Frage: „Was bleibt?“ Jede Gesellschaft ist gefährdet, in ihrem Streben nach Ordnung im gleichen Maße ihre Freiräume zu verlieren. Was ist wert, bewahrt zu werden?
Zugleich fordert Heidemarie Kasanowski auf, Alltägliches, Unspektakuläres überhaupt wahrzunehmen. Durch das Wegfallen des ehemaligen funktionalen Bezuges wird der Blick frei für neue Zusammenhänge, und es entstehen fragile, kokettierende oder sogar ironische Korrespondenzen, Situationen, die Schutz Suchendes ausstrahlen. Ein Zusammenschluss, der Zeit in Frage stellt. Es stößt aufeinander, was nicht zueinander passt. Doppeldeutig betitelt, erscheinen Nischen, die Phantasie keimen lassen. So auch der Katalogtitel „zwischen räumen“. Er entspringt dem Füllen eines imaginären Raumes mit Alltagsutensilien – oder ist an das Räumen gedacht im Sinne von Beseitigen, Ordnen, etwas bewältigen, beenden?
Als Absolventin der Dresdner Kunstakademie den figürlichen Traditionen der Bildhauerei verpflichtet, stellt Heidemarie Kasanowski bei der Bearbeitung von Stein archaische Konstellationen her. In den letzten Jahren entstanden Steinskulpturen, die Ruhe ausstrahlen. Die schlichte dominierende Form diktiert der ursprüngliche Block. Die Oberfläche lässt die Spuren der Bearbeitung erkennen. Der Blick stößt auf Kanten, und es entsteht sogar die Idee der Gefahr des Bruches eines so harten Materials. Hat ein Stein eine Seele?
Der räumliche Bezug bei den Installationen steht ebenso wie die anderen Arbeitsweisen immer im Zusammenhang mit dem Verhältnis der Bildhauerin zur vorgefundenen Realität. Wo die Arbeiten präsentiert werden, ist nicht bedeutungslos. Am Rande eines Tagebaus wirkt ein Raum, gefüllt mit hängenden Schaufeln, absolut anders als in großstädtischem Zusammenhang. Das Außen wird authentisch nach innen gezogen. Aus ihrer Lebenssituation und dem Standort ihres Arbeitsraums ergeben sich Materialien und Formen.
Sie sitzt nicht am anonymen Schreibtisch als Denksportarena für kommende Projekte.
Kerstin Baudis
Gedanken zu einigen Arbeiten von Heidemarie Kasanowski
von Brigitte Hammer, 2010
Der in Bewegung befindliche Zustand oder von der Gabe der Verwandlung
Zwei gegen einander sich schmiegende Volumina aus einem steinernen Block gehauen erscheinen auf den ersten Blick wie zeitlose Vertreter der minimalistischen Kunst. Erst bei näherem Hinsehen treten die inhärenten Unregelmäßigkeiten hervor, offenbaren sich die nur scheinbar parallel verlaufenden Linien, die spannungsvoll in fragiler Balance verharrenden Kubaturen, die geglätteten Oberflächen mit abgeschliffenen, aber noch sichtbaren Bearbeitungsspuren. Und obwohl diese Arbeit aus hartem Sandstein eine nicht-figurative ist, scheint sie wie von einer eigenartigen „humanoiden“ Aura umhüllt, die dem steinernen Brocken eine wundersame Weichheit gibt. Diese 2006 entstandene und mit „Schritt“ betitelte Skulptur der Bildhauerin Heidenmarie Kasanowski ist trotz ihrer schlichten, von geometrischen Linien bestimmten Erscheinung ein beachtenswertes Beispiel für ihren Weg von der Gestaltung der menschlichen Figur zur Erschaffung von künstlerischen Raumerfahrungen.
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In den mehr als zwanzig Jahren, die seit dem Abschluss des Studiums an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden vergangen sind, ist ein vielseitiges Werk entstanden, das nicht so leicht einem Stil, einer Richtung, einem –ismus zugeordnet werden kann. Frühe Formungen der menschlichen Figur, die am Anfang ihres Werkes als Bildhauerin stehen, sind als sitzende, stehende und liegende Leiber aus Keramik und Bronze gestaltet und erkunden die figurative Plastik von ihren Grundbedingungen her. Doch eine wache Beobachtungsgabe ließ sie die Welt als eine veränderliche erfahren und die in ihr lebenden und handelnden Personen als sich im Raum bewegende Individuen. Folglich konnte ihr die Statik eines in eine Pose gebannten Körpers als Thema und Antrieb nicht mehr genügen. Vielmehr fand sie den Ausgangspunkt für ihre Werke in der primären Realität des Materials, dessen physische und mentale Energie zu erkunden und zum Ausdruck zu bringen ist.
Eine Serie von Skulpturen aus Metallfundstücken zeigt dies ebenso wie die Reihe der Objekte aus mit Texten überdruckten Styroporformteilen; die „Lausitzer Landschaft“ (1996) kann dies ebenso belegen wie die Installation „SchaufelRat“ (1998) im Magazingebäude des Museumsparks in Rüdersdorf. Ihrem künstlerischen Weg der Untersuchung von plastischen Wirkungen im Dialog mit dem Material parallel verläuft die Erarbeitung und Erprobung neuer Techniken der Bearbeitung. Der Keramik folgt das Metall, dem Metall der Stein, dem Stein die Entdeckung der Abfall- und Alltagsmaterialien. Mit ihrer Arbeit „Bodenschatz Grundwasser“, dem Beitrag zur „Kunst in der Tiefe“ (2008) im Schacht Reiche Zeche Freiberg betritt sie eine neue Sphäre und das nicht nur, weil sie mit der Einbeziehung von akustisch vermittelten Texten ihren Werken eine weitere sinnliche Dimension hinzufügt, sondern auch, weil sie die Fundmaterialien für einen bestimmten Zweck bearbeitet und verfremdet.
In der Gruppe der aus Fundmaterialien komponierten Skulpturen offenbart sich schon früh eine Eigenheit der plastischen Objekte Kasanowskis: ihr feiner, tiefsinniger, manchmal eher unterschwelliger Humor, eine Lust am Doppelsinn und den Wortspielen, die mit leichter Hand die Formdeutungen und Formfindungen erledigen. Das Objekt „(Schaufel-)Paar“ von 1994 (Seite 20/21) besteht aus zwei rostigen Schaufelblättern ohne Holzstiel, die einander zugeneigt sind. Sie könnten ebenso zwei Ringer im Kampf wie zwei Schwache, die sich gegenseitig auf ihrem Weg stützen, sein, aber auch als ein sich zärtlich aneinander lehnendes Liebespaar betrachtet werden.
Die Formdeutungen und Formfindungen der Künstlerin werden zwar mit spielerischer Leichtigkeit erarbeitet, doch sind sie weder zufällig noch oberflächlich. Sie resultieren vielmehr aus einem disziplinierten, systematischen Arbeitsprozess und einer experimentellen, fast wissenschaftlichen Vorgehensweise. Dabei respektiert sie die Bedingungen des Materials mit einem wachen Empfinden für die Möglichkeiten, die es zulässt.
Eine hoch aufragende Platte mit dreieckigem Querschnitt steht auf einer im Verhältnis zu Höhe und Breite schmalen Basis und verjüngt sich zur oberen Kante hin in einen nur wenige Zentimeter tiefen Grat, der durch dreieckige Einschnitte von einer gebirgsähnlichen Zackenlinie begrenzt wird. Oben rechts und unten links sind die Bohrlöcher aus dem Steinbruch, an den Seitenflächen die Sägespuren erhalten. Mit sparsamen Eingriffen wird die rötlich verfärbte Verwitterungskruste abgetragen und das helle Grau des Blockinneren frei gelegt. Ausgehend vom oberen Bohrloch verläuft eine fast gleichmäßig breite, unregelmäßig gekerbte Rille nahezu parallel zur Seitenkante nach unten und erscheint wie ein Flusslauf, der sich in den Rasenboden ergießt. Von dem ersten Dreieckseinschnitt auf der linken Seite verläuft eine zweite Rille zunächst schräg nach rechts unten, um etwa an der Mitte der Fläche in einem sanften Bogen und einer stetig dünner werdenden Linie auszuschwingen. Zwischen beiden Rillen ist die Verwitterungskruste in einer ellipsoiden Fläche abgetragen, die wie ein See zwischen zwei Flüssen wirkt.
Die „Lausitzer Landschaft“, 1996 (Seite 6) ermöglicht somit sehr verschiedene sinnliche Erfahrungen; mit ihrer Höhe, die die Körpergröße der meisten Betrachter überragt, konfrontiert sie diesen mit der gewaltigen Monumentalität einer Landschaft, lässt aber gleichzeitig seinen horizontalen Blick aus der Ebene mit dem vertikalen Blick aus der Höhe in einem Objekt verschmelzen. Gleichzeitig erlaubt sie es, den Stein in seinen materialen Qualitäten, seiner Schönheit und seiner Grandiosität als Teil einer vor Jahrtausenden entstandenen Entität zu entdecken.
Die Installation „SchaufelRat“, 1998 (Seite 12/13) im Magazingebäude des Museumsparks in Rüdersdorf hat zwar als raumbezogene Kunst einen ganz anderen Charakter als das oben beschriebene Objekt aus Stein, doch vermag auch hier der Umgang mit dem Material zu überzeugen. Von der Balken-Decke pendeln an ihren langen Stielen in Reihen aufgehängte, unterschiedlich geformte und gerostete Schaufeln und Spaten und schweben sorgfältig ausgerichtet in unterschiedlicher Höhe über dem Holzboden; jedes einzelne Arbeitsgerät als sichtbar gebrauchtes Werkzeug scheint eine andere, geheimnisvolle Geschichte zu erzählen. Jedes repräsentiert die Individualität des ehemaligen Benutzers und wirkt als Metapher für die Arbeitsleistung der vielen Menschen, die Jahrhunderte lang im Rüdersdorfer Tagebau mit ihrer Arbeit den wirtschaftlichen Ertrag der Inhaber gemehrt und den Unterhalt für ihre Familien geschaffen haben.
Kasanowskis ausgeprägte Liebe zur Poesie des Materials wird an der „Tänzerin“, JJJJ (Seite 42/43) erkennbar. Das Fragment eines blauen Brillengestells wird hier bis zur Unerkennbarkeit der Ausgangsform in eine beschwingt tanzende Figur gewandelt und in Bewegung versetzt. Auch dieses Objekt ein Beleg für Kasanowskis ausgeprägte Fähigkeit, „um die Ecke“ zu denken und den betrachtenden Geist in seiner mentalen Beweglichkeit herauszufordern und zu stimulieren. Dass ihr dabei auch die Worte, die Sprache und die Texte zum Material werden, ist folgerichtig, denn auch sie sind Materialien der uns umgebenden Welt, und dass von dort der Sprung in die Klangräume nur noch ein kleiner ist, liegt nahe. Gleichzeitig ist aber die Verwandlung von Text und Sprache in akustische Phänomene ein Akt der Ent-Materialisierung, der die Faktizität der Installation wieder in die Flüchtigkeit der Zeit zurück wirft und sie damit der Vergänglichkeit anheim fallen lässt.
Die unerhörte Vielfalt der Formteile aus Styropor, ein wegen seiner haptischen Qualitäten und massenhaften Verbreitung verachtetes Material, hat aber wegen seines geringen Gewichts bei großem Volumen schon oft Künstler zur Auseinandersetzung und Gestaltung angeregt. Kasanowski wählt durch die Verbindung mit poetischen Texten eine Methode der „Veredelung“. Dabei wählt sie ein entsprechend aufwändiges Verfahren, indem sie die Texte in mühsamer Handarbeit auf die Styroporblöcke stempelt und schafft so aus dem billigsten Industriematerial individuelle Entitäten.
Die Formfantasien und der schaffende Impuls der Künstler wurden schon immer durch gefundene Gegenstände, unabhängig von ihrer Herkunft aus der natürlichen oder gestalteten Umwelt, angeregt – von den prähistorischen Ritzzeichnungen in Feuersteinen über mittelalterliche Prunkpokale mit eingebauten Muscheln oder Schneckenhäusern bis zu den im 20. Jahrhundert entwickelten Methoden der schöpferischen Kompilation von Fundstücken aller Art. Während jedoch die historischen Objekte nicht nur die Lebenszeit ihrer Urheber überdauert haben und in den Kunst- und Wunderkammern der Museen sogar Jahrhunderte lang überleben konnten, realisieren die Künstler der 21. Jahrhunderts eine konsequente temporäre Begrenzung ihrer Schöpfungen, die entweder einen immanenten Verfallsprozess durch vergängliche Materialien durchlaufen oder überhaupt nur für die Dauer einer Ausstellung geschaffen werden.
Auch Heidemarie Kasanowski erschafft solche temporären poetischen Verbindungen von Dingen, die auch für sich genommen „schön“, „sinnlich“ und „sinnhaft“ sind. Sie entdeckt ihren magischen Charakter und liebt ihre zeitlich begrenzte Existenz ebenso wie ihre Vergänglichkeit; sie spielt mit der Fehlbarkeit der Sinne und der instabilen Wahrnehmungsfähigkeit des Betrachters. Das macht ihre Arbeiten vieldeutig und die Sicht des Betrachters auf sie wandelbar. Das Werk dieser Künstlerin ist von einer erstaunlichen Vielgestaltigkeit und spricht für ein ausgeprägtes kreatives Potenzial, vor allen Dingen aber für ihre anscheinend unerschöpfliche Gabe der Verwandlung.
Berlin, im Februar 2010
Brigitte Hammer
Auszug aus der Rede von Ulrich Kavka zur Ausstellung in der Galerie im Turm, 2009
Der andere künstlerische Weg, den die Bildhauerin beschreitet, hat nur scheinbar eine vordergründige Aktualität im Finden von massenhaft nutzlos Gewordenem, das gleichsam der Zufall in den Fokus gerückt hat. Vielmehr ist es wohl so, dass die Künstlerin über ein Formbewusstsein verfügt, dessen starke Neigung zum Zeichen- oder Blockhaften eigentlich mühelos zu erkennen ist. Man könnte daraus schlussfolgern, das Denken in gestaltungswürdiger Absicht schöpfe aus einem diesbezüglich präzise variierten und archivierten Arsenal, sozusagen immer abrufbereit dann, wenn eine, inzwischen zusammenhanglose, Figuration in das Blickfeld des bildnerischen Interesses gerät, nämlich als brauchbares Versatz- oder Ergänzungsstück einer plastischen Gestaltvorstellung, die im Spiel eben auch mit diesen Mitteln ihre Gültigkeit gewinnt.
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Heidemarie Kasanowski hat ihr Diplom als Bildhauerin 1990 an der HfBK Dresden erworben. Sie arbeitet in Stein, Bronze, Holz, Keramik und Metall. Um ihrer Persönlichkeit, also ihrem künstlerischen Temperament, ihrer Sinnes- und Ausdrucksart nahe zu kommen, ist ein Vergleich mit Signet- und Markengestaltungen nicht abwegig, deren Existenz und empfundene Wirkung in starkem Maße von der gebrauchsgraphischen Verknappung, Genauigkeit und Wiedererkennung abhängt. Man kann ziemlich sicher sein, dass die Individualität der Künstlerin von solch ausgeprägter Eigenart ist. Natürlich sind ihre Arbeiten, befreit vom dienenden Charakter der Werbung, eben freier und so auch stimmungsvoller. In wirklich poetischem Kontext stehen die räumlich montierten Objekte, hier etliche schöne Zeichen für Köpfe, wenn sie flankiert, überlagert, auch konfrontiert werden mit monologischen Wortfolgen oder zum Nachsinnen neigenden Gesangsstücken. Zu der bildhauerischen Berufung gesellt sich demnach auch ab und an die der Autorin, der Sprach- und Gesangsinterpretin- solistisch oder bisweilen kollektiv integriert, im Chor. Die Fundstücke, großenteils metallene industriegeschichtliche Relikte, aber nicht nur, bilden im Wesentlichen das Reservoir für eine in sich geschlossene Werkgruppe. Da mutiert ein offensichtlich stark benutzter Holzspaltkeil zum Mittelpunkt der Komposition. Oder der Rest eines Brillengestells, als solches kaum noch auszumachen, verbleibt in einer durchaus authentischen ballettösen Positur.
„Anrufen der Mittel“ bedeutet, bei der Malerin ebenso wie bei der Bildhauerin, zunächst ein freies Spiel mit den künstlerischen Materialien sowie deren Möglichkeiten. Die Einschränkung oder die Erweiterung- wie man will- zum Bild aktiviert zunehmend das genaue Hinschauen und so auch die Disziplin zu bildnerischer Ordnung. „Doch die Künstlerinnen können nur schaffen, was sie zu sehen glauben, ob sie ihre Bilder nun im Geiste oder in der Natur sehen“, um zum Schluss noch einmal eine Autorität, nämlich Max Liebermann, zu bemühen.